Schlappe für Datenschutz-Klage: Warum OpenJur sensible Gerichtsdaten weiter veröffentlichen darf
Persönliche Daten online? Gericht sagt: Pressefreiheit schlägt Datenschutz
Es ist ein Urteil mit Signalwirkung: Das Landgericht Hamburg hat entschieden, dass die Rechtsprechungsplattform OpenJur nicht für Fehler der Justiz haftet, wenn sie nicht-anonymisierte Gerichtsentscheidungen veröffentlicht. Ein Anwalt hatte OpenJur verklagt, weil sein voller Name samt Kanzleiadresse und finanzieller Notlage in einem öffentlich zugänglichen Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin auftauchte – fast ein Jahr lang, ungeschwärzt, für alle einsehbar.
Doch die Hamburger Richter sagen jetzt: Das ist rechtlich zulässig. OpenJur handle journalistisch – und genieße damit besonderen Schutz durch die Pressefreiheit. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) greife in diesem Fall nicht voll, weil die Datenverarbeitung „zu journalistischen Zwecken“ erfolgt sei. Ein harter Rückschlag für den Kläger – und ein echter Befreiungsschlag für das kleine, unabhängige Portal.
DSGVO? Ja – aber mit Ausnahmen für Journalismus
Was auf den ersten Blick wie ein klarer Datenschutzverstoß wirkt, entpuppt sich juristisch als Graubereich mit Schutzwirkung für Medienangebote. Denn laut Art. 85 DSGVO dürfen EU-Staaten Ausnahmen zulassen, wenn der Schutz personenbezogener Daten mit der Informations- und Pressefreiheit abgewogen werden muss.
Das LG Hamburg wertete OpenJurs Tätigkeit nicht als simples Daten-Abkippen, sondern als „redaktionelle Arbeit“. Die Plattform sammelt nicht nur Gerichtsentscheidungen, sie verfasst auch Orientierungssätze, markiert relevante Urteile und präsentiert diese journalistisch aufbereitet. Das reicht den Richtern, um die Schutzklausel zu aktivieren – selbst wenn einzelne Urteile ungeprüft übernommen werden.
Keine Haftung für Justizfehler – und auch kein Schadensersatz
Besonders deutlich: OpenJur haftet nicht für Fehler der Gerichte. Wenn ein Beschluss unzureichend anonymisiert veröffentlicht wird – wie im Fall des Anwalts Olaf T. – dann liegt die Verantwortung beim Gericht, nicht bei der Datenbank, die den Beschluss weiterverbreitet.
OpenJur hatte den betroffenen Beschluss innerhalb von 20 Minuten nach Hinweis des Klägers nachträglich anonymisiert. Doch der wollte mehr: Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO und eine Unterlassungserklärung. Beides bekam er nicht. Begründung: Die Veröffentlichung verletzte zwar sein Persönlichkeitsrecht – aber OpenJur habe berechtigte Interessen wahrgenommen, wie es § 193 StGB (Wahrnehmung berechtigter Interessen) schützt.
Zudem sei kein nachweisbarer Schaden entstanden. Die verspätete Auskunft über gespeicherte Daten sei nicht gravierend genug, um immateriellen Schaden geltend zu machen.
Pressefreiheit vs. Privatsphäre: ein heikler Balanceakt
Das Urteil ist ein Lehrstück über die Spannung zwischen Datenschutz und öffentlichem Informationsinteresse. Auf der einen Seite: das Recht auf Schutz sensibler Daten, besonders bei beruflich relevanten Informationen wie Zahlungsproblemen. Auf der anderen Seite: das Recht der Öffentlichkeit, über Vorgänge in Justiz und Verwaltung informiert zu werden.
Das Gericht hat sich nun klar auf die Seite der Pressefreiheit gestellt – zumindest solange keine grobe Fahrlässigkeit oder Missbrauch vorliegt. OpenJur darf also weiterhin Gerichtsentscheidungen übernehmen, auch wenn diese einmal Fehler enthalten – solange schnell reagiert wird, wenn Betroffene Einspruch erheben.
Der Staat muss liefern
Was da auf dem Spiel stand, war mehr als nur ein einzelner Fall. Hätte der Kläger gewonnen, wäre das ein gefährlicher Präzedenzfall geworden – mit potenziell verheerenden Folgen für alle juristischen Fachportale und Transparenzprojekte.
Aber: Ist das Urteil gerecht? Es zeigt, wie leicht es passieren kann, dass sensible Informationen für Monate online stehen, nur weil ein Gericht schlampig anonymisiert. Die Betroffenen stehen dann da – nackt im Netz – und können oft nur reagieren, nicht verhindern. Das ist nicht zeitgemäß.
Gerichte dürfen nicht mehr „nebenbei“ anonymisieren. Wer Transparenz will, muss Verantwortung übernehmen – und zwar bevor Daten veröffentlicht werden. Pressefreiheit ist ein hohes Gut, aber sie darf nicht zur Schutzlücke werden, weil Behörden ihre Hausaufgaben nicht machen.
Hast du Fragen zum Datenschutzrecht? Buche jetzt eine Beratung und schütze deine sensiblen Daten effektiv!