Petzen per Klick: Wie das Internet Falschparker jagt

Wenn der Nachbar plötzlich zur Parkpolizei wird
Jochen Wieler aus München glaubte, alles richtig zu machen. Seit 16 Jahren parkt er sein Auto wie viele andere in seiner Straße – mit zwei Rädern auf dem Gehweg. Kein Mensch wird behindert, kein Kinderwagen blockiert. Doch eines Tages klickt jemand ein Foto. Wochen später flattern 55 Euro Verwarnungsgeld ins Haus. Auslöser: Eine Anzeige über das Internet-Portal weg.li, auf dem Bürger ihre Mitmenschen wegen Falschparkens melden können – einfach per Smartphone-Foto.
Für Wieler ist das ein Unding: „Ich finde, diese Art der Denunzierung ist ungeheuerlich!“ Besonders pikant: Auf dem Anhörungsbogen steht sogar der Name des „Zeugen“ – offenbar ein Umweltaktivist aus der Nachbarschaft. Die digitale Anzeige ersetzt damit nicht nur die Parkkralle – sie sorgt für Unfrieden im Viertel.
Petz-Plattform mit Ehrgeiz: 8000 Anzeigen pro Woche
Weg.li will keine kleine Hilfe für überforderte Ordnungsämter sein – die Plattform verfolgt große Ziele: 416.000 Anzeigen pro Jahr. Nutzer werden in Bestenlisten gefeiert, „Motzi“ führt mit über 80 beziehungsweise rund 340 Anzeigen gleich doppelt in der Wochen- und Monatswertung. „Bongokarl“ soll insgesamt über 18.000 Falschparker gemeldet haben. Der Slogan des Portals klingt harmlos: „1, 2, 3 – macht die Bahn frei!“ Dahinter steckt aber ein systematischer Aufruf zum Melden.
Das Ganze läuft fast vollautomatisch: Beweisfoto schießen, hochladen, und schon wird der Rest – inklusive Standort und Fahrzeugdaten – vorausgefüllt. Die Anzeige geht dann per Mail direkt ans Ordnungsamt. In München landet sie bei der Polizei oder dem Kreisverwaltungsreferat.
Zwischen Ordnung und Überwachung: Was darf Zivilcourage?
Rechtlich ist das erlaubt – bestätigt ein Sprecher des Polizeiverwaltungsamts. Doch politisch und gesellschaftlich wird es kritisch gesehen. Einige warnen vor einer neuen Form der Blockwartmentalität. Die Angst: Wenn Nachbarn anfangen, sich gegenseitig zu überwachen, statt miteinander zu reden, gerät der gesellschaftliche Zusammenhalt ins Wanken.
Falschparken ist zweifellos ein Problem, vor allem für Menschen mit Kinderwagen, Rollatoren oder im Rollstuhl. Doch was, wenn wie im Fall Wieler niemand behindert wird? Geht es dann wirklich um Sicherheit – oder nur noch ums Prinzip?
Mehr reden, weniger knipsen
Klar: Wer quer parkt und andere gefährdet, sollte zur Rechenschaft gezogen werden. Aber der digitale Pranger im Stil von „weg.li“ wirft die Frage auf, wie viel Überwachung wir im Alltag wollen – und ob nicht der direkte Weg, ein Gespräch mit dem Nachbarn, oft zielführender wäre.
Denn was bleibt, ist der bittere Beigeschmack: In einer Zeit, in der Zusammenhalt wichtiger denn je ist, kann ein Handyfoto mehr kaputt machen als jedes falsch geparkte Auto.