Kein Schutz vor Shitstorm? Anwältin verliert gegen rechtspopuläres Online-Portal – trotz Bedrohungen
Kreuz vor der Kanzlei, Drohanrufe – und trotzdem kein Unterlassungsanspruch
Sie wurde beleidigt, bedroht, ihre Privatadresse veröffentlicht. Vor ihrer Kanzlei häuften sich Holzkreuze. Doch das Landgericht Berlin II sieht darin keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts: Eine auf Asylrecht spezialisierte Anwältin muss eine identifizierende Berichterstattung des rechtspopulistischen Online-Portals NiUS über ihre Rolle im Zusammenhang mit dem Solinger Attentat hinnehmen. So das Urteil vom 3. April 2025 (Az. 27 O 304/24).
Was Jurist:innen- und Anwaltsverbände wie DAV und BRAK scharf kritisierten, sieht das Gericht als von der Meinungsfreiheit gedeckt. Und das, obwohl die Folgen der Berichterstattung für die Betroffene massiv waren.
Solingen, Asylrecht und mediale Zündschnur
Der Hintergrund: Im Sommer 2024 wurden bei einem Anschlag in Solingen drei Menschen getötet, mehrere verletzt. Der mutmaßliche Täter – ein abgelehnter syrischer Asylbewerber – war 2023 zur Abschiebung ausgeschrieben, konnte aber in seiner Unterkunft nicht angetroffen werden. In seinem Asylverfahren wurde er anwaltlich vertreten – unter anderem von der Klägerin, einer Rechtsanwältin aus Dresden.
NiUS nahm das zum Anlass für eine Reihe von Berichten, in denen eine Verbindung zwischen der Anwältin und einem angeblich „systematischen Missbrauch“ des Asylrechts hergestellt wurde. Unter Überschriften wie „Ist Deutschland zu doof zum Abschieben“ wurde sie namentlich genannt und in Zusammenhang mit rechtlich umstrittenen Aufenthalten gebracht – obwohl keine unrechtmäßige Handlung der Anwältin vorlag.
Meinungsfreiheit schlägt Persönlichkeitsrecht
Das Landgericht Berlin II hält die Berichterstattung für rechtlich zulässig: Die Äußerungen seien Meinungen oder wahre Tatsachenbehauptungen. Die Bewertung der Tätigkeit der Anwältin als Teil eines „Rechtshilfesystems“ sei vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) gedeckt. Selbst überspitzte oder abwegige Aussagen seien zulässig, solange sie auf nachvollziehbaren Tatsachen basieren – was hier, laut Gericht, gegeben sei.
Auch die Nennung des Namens und die Bezugnahme auf Instagram-Inhalte seien nicht zu beanstanden. Wer sich in sozialen Medien öffentlich zeigt, müsse hinnehmen, dass sich andere öffentlich mit der eigenen Tätigkeit auseinandersetzen – auch kritisch.
Pressefreiheit bedeutet nicht Pranger
Dieses Urteil ist bitter – vor allem für alle, die sich juristisch für Menschenrechte und das Asylrecht einsetzen. Ja, Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Aber wenn eine Berichterstattung in der Praxis zu realen Bedrohungen führt, ist das nicht mehr nur ein juristischer Abwägungsfall – es ist eine Frage der Verantwortung.
Das Urteil sendet das falsche Signal: Wer laut genug schreit, darf benennen, zuspitzen und den digitalen Mob loslassen – und wer betroffen ist, muss es schlucken. Das hat mit Pressefreiheit wenig zu tun, wenn sie zur legitimierten Pranger-Plattform wird. Meinungsfreiheit endet da, wo Menschen in Angst leben müssen. Auch das ist Grundrecht.
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