700-Millionen-Dollar-Klage gegen das Internet Archive: Retten wir ein digitales Kulturerbe – oder schützen wir überfällige Urheberrechte?

Alte Schellackplatten – neuer Urheberrechtsstreit
Sie knistern, rauschen und erzählen Geschichten aus einer anderen Zeit: Die Rede ist von historischen 78-U/min-Schallplatten, wie sie von ca. 1900 bis in die 1950er Jahre genutzt wurden. Nun sorgen sie für einen modernen Urheberrechtsstreit mit gewaltigem Streitwert: 700 Millionen Dollar fordern Musikgiganten wie UMG, Sony Music und Capitol Records vom gemeinnützigen Internet Archive – und bedrohen damit ein digitales Kulturerbe, das weltweit einzigartig ist.
Der Vorwurf: Das Archive habe Tausende historischer Aufnahmen digitalisiert und frei zugänglich gemacht, ohne dafür über die nötigen Rechte zu verfügen. Der Streit entzündet sich an einem Kernproblem unserer Zeit – Was wiegt schwerer: kultureller Zugang oder kommerzielle Kontrolle?
Das Internet Archive – die Schatzkammer des digitalen Gedächtnisses
Seit Jahren gilt das Internet Archive als eine der wichtigsten Plattformen für den Erhalt digitaler Informationen. Ob alte Webseiten, ausrangierte Software oder vergessene Bücher – kaum ein Projekt macht die Geschichte des Internets und der Medienwelt so frei zugänglich. Besonders wertvoll ist die „Wayback Machine“, mit der man gelöschte oder geänderte Webseiten rekonstruieren kann – ein Werkzeug, das nicht nur Historiker und Journalisten schätzen, sondern auch Juristen und Politiker.
Doch genau diese Philosophie – Freier Zugang für alle – ist den Rechteinhabern ein Dorn im Auge. Sie werfen dem Archive vor, kommerzielle Interessen zu gefährden, indem es ohne Lizenz Rechte verletze. Besonders bitter: Viele der in Frage stehenden Tonaufnahmen sind weder im Handel erhältlich noch kommerziell verwertbar – und würden ohne das Archive wohl für immer verschwinden.
Urheberrecht vs. Gemeinwohl: Wer gewinnt?
Rein rechtlich könnte die Sache tatsächlich heikel werden. Auch jahrzehntealte Tonaufnahmen können noch urheberrechtlich geschützt sein, wenn sie beispielsweise remastered wurden oder Rechte auf neue Inhaber übergingen. Das Digitalisieren allein wäre womöglich noch kein Problem – die weltweite, kostenlose Zugänglichmachung dagegen schon.
Die Frage, die hier im Raum steht, ist größer als jede Paragraphenkette: Wie viel Zugang zur Kultur darf es in der digitalen Welt geben – und wo beginnt die Grenze der Verwertung?
Denn was mit Schellackplatten beginnt, könnte mit Filmen, Büchern, Webseiten oder Software weitergehen. Ein Erfolg der Musikindustrie vor Gericht könnte einen Präzedenzfall schaffen, der das gesamte Internet Archive gefährdet – und damit die Idee eines freien, öffentlichen digitalen Gedächtnisses.
Schutz geistigen Eigentums – oder doch nicht?
Kultur darf nicht nur denen gehören, die das meiste Geld für Lizenzen verlangen. Natürlich müssen Urheber geschützt werden. Aber wenn Konzerne mit verstaubten Rechten auf vergriffene Aufnahmen plötzlich Milliarden kassieren wollen, während sie selbst nichts zur Erhaltung dieser Werke beitragen, ist das nicht Rechtsschutz – das ist digitale Abrissbirne.
Diese Klage ist kein Schutz geistigen Eigentums – sie ist ein Angriff auf unser kollektives Gedächtnis. Wenn das Internet Archive fällt, verlieren wir alle. Was wir brauchen, ist ein modernes Urheberrecht, das Schutz mit Zugang verbindet – nicht eines, das Kultur in den Tresor sperrt.
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